Bayern: "Machtbefugnisse, wie es sie seit 1945 nicht gegeben hat"

Die Polizei wird zur gigantischen Überwachungsbehörde

Cloud-Durchsuchung samt Datenveränderung

Bei einer drohenden Gefahr darf die Polizei in Bayern zukünftig präventiv und verdeckt „auf informationstechnische Systeme zugreifen, um Zugangsdaten und gespeicherte Daten zu erheben“. Das gilt auch, wenn die Speicher „räumlich von dem von dem Betroffenen genutzten informationstechnischen System getrennt sind“ – die Daten also in der „Cloud“ liegen. Dabei darf die Polizei bei dringender Gefahr für „Leben, Gesundheit oder die Freiheit der Person“ oder bei Bedrohung oder Verletzung von „Sachen, deren Erhaltung im öffentlichen Interesse geboten erscheint“, auch Daten löschen oder "verändern".

Unter ähnlichen Voraussetzungen darf die Polizei künftig präventiv in die Telekommunikation eingreifen und „Kommunikationsverbindungen durch den Einsatz technischer Mittel unterbrechen oder verhindern“. Darüber hinaus darf sie künftig präventiv Post beschlagnahmen, bei Gefahr im Verzug auch ohne richterliches Einverständnis. Das Polizeiaufgabengesetz erleichtert zudem die Übermittlung personenbezogener Daten durch die Polizei an „nichtöffentliche Stellen“, zum Beispiel an Geheimdienste, im Inland und Ausland.

Drei Monate Präventivhaft

Als einziges Bundesland Deutschlands soll in Bayern künftig auch eine Fußfessel zum Einsatz kommen dürfen. Ebenso ist eine Verlängerung der Präventivhaft für „Gefährder“ angedacht. Bis dato konnten Personen, von denen eine vermeintliche Gefahr ausgeht, in Bayern bis zu 14 Tage lang in Gewahrsam genommen werden. In anderen Bundesländern war und ist dies teilweise nur zwei bis vier Tage möglich. Diese Frist soll im Freistaat nun auf drei Monate verlängert werden. Nach Ablauf der Frist erfolgt eine Neueinschätzung der Lage, ein vermeintlicher Gefährder kann demnach de facto unendlich lange in Gewahrsam bleiben – ohne je eine Straftat begangen zu haben. Experten kritisieren, dass die eigene Harmlosigkeit aus dem Gefängnis heraus in vielen Fällen nicht bewiesen werden könne.



München, 20.04.2018. Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz verkündeten heute über 40 zivilgesellschaftliche Organisationen und Parteien die Gründung eines Bündnisses gegen das neue Polizeiaufgabengesetz (PAG) in Bayern. Ziel ist es, die Verabschiedung des Gesetzes im Landtag durch einen breiten Bürgerprotest zu verhindern und die im August 2017 beschlossene Einführung der „drohenden Gefahr“ und der theoretisch möglichen unendlichen Haft zurückzunehmen.


Problematisch an dem neuen Polizeiaufgabengesetz sei der unklare Begriff der »drohenden Gefahr«. Dieser Begriff sei von der CSU neu in das Rechtssystem eingeführt worden. Man habe dazu keinerlei juristische Erfahrung. Letztlich werde mit diesem Begriff die Verdachtsschwelle herabgesetzt, die bisher durch den Begriff der »konkreten Gefahr« gegeben war. Höchst problematisch sei auch, dass für gravierende Maßnahmen wie dem Aufenthaltsgebot oder dem Kontozugriff keine richterliche Genehmigung notwendig sei. Außerdem werde die richterliche Kontrolle durch schwammige Begriffe erschwert. Was solle man sich zum Beispiel genau unter »bedeutsamen Gütern« oder »erheblichen Eigentumspositionen« vorstellen? Da gebe es doch große Interpretationsunterschiede.


Das Bündnis kritisierte auch, dass Verdächtige quasi unbegrenzt in Haft gehalten werden können, wenn nur der Richter alle drei Monate die Festsetzung erneuert. Und der Bürger habe - anders wie beim Strafrecht - im Polizeiaufgabengesetz schlechte Karten, was Widerspruch gegen Maßnahmen wie Überwachung angeht. Weder gebe es einen Pflichtverteidiger, noch könne man wie beim Strafrecht in die letzte Instanz auch außerhalb Bayerns gehen. Denn das neue Gesetz richtet sich hier nach dem sogenannten Familienverfahrensgesetz, was aber einen völlig anderen Entstehungshintergrund habe.



Für den 10. Mai hat das Bündnis eine Großdemonstration in München angekündigt.



Quellen:
 








Der Gesetzesentwurf:


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